Aktuelles




Fußball im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) im Gebiet von Südthüringen 1920 bis 1933


Neben dem Deutschen Fußballbund (DFB), in Südthüringen vertreten durch den Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine (VMBV), wurde in weiteren Sportorganisationen Deutsche Meisterschaften im Fußball ausgetragen.


Dazu gehörte u. a. der ATSB. Um eine Vorstellung des Organisationsgrades zu erhalten seien folgende Zahlenverhältnisse genannt. Im DFB waren zu Beginn der 1930er-Jahre mehr als eine Million Kicker aktiv, im Arbeiter-Turn- und Sportbund hingegen nur 140.000 (Ideologie und Praxis der Fußballsparte im Arbeiter-Turn- und Sportbund 1919 bis 1933 Rudolf Oswald).


Der Arbeiterturnerbund (ATB) wurde 1893 in Gera gegründet und benannte sich 1919 in Arbeiter-Turn- und Sportbund um. Er war eine SPD nahe Sportorganisation. Zunächst galt der Fußball als zu bürgerlich und wurde von den höheren Funktionären abgelehnt. Diese Haltung änderte sich nach dem 1. Weltkrieg. Die Popularität und Anziehungskraft des Fußballs sollte auch im ATSB genutzt werden. Das Verhältnis zwischen DFB/VMBV und dem ATSB war nicht freundschaftlich. Man verunglimpfte sich gegenseitig, man warb sich Mitglieder und Vereine ab. Es bestand ein striktes Spielverbot gegeneinander. Je nach Lage in den Städten und Ortschaften durften die Vereine oft nicht die gleichen Sportanlagen nutzen. Jedoch stand der SPD-nahe ATSB auch mit den kommunistischen Organisationen auf Kriegsfuß.


Der ATSB war deutschlandweit in 20 Kreise eingeteilt (Stand 1932). Diese Kreise waren in Bezirke untergliedert. Im 5. Kreis war der Freistaat Thüringen organisiert. Für unsere Betrachtungen sind die Bezirke Steinach, Salzungen und Schmalkalden im 5. Kreis von Bedeutung. Aus heutiger Sicht muss man nochmal hervorheben: Der Kreis war die übergeordnete Organisationsebene und die Bezirke nachgeordnet.


Aus dem Kreis 7 (Nordbyern), Bezirk Coburg ist besonders der heute noch aktive Verein ASV 06 Neustadt bei Coburg zu erwähnen. Er leistete gute Schrittmacherdienste bei der Entwicklung des Arbeiterfußballs auch in der Region Sonneberg. Dabei nahm der TV I 1887 Steinach eine bedeutende Rolle ein. Im Spieljahr 1929/30 gewann der TV I 1887 Steinach die Kreismeisterschaft im Kreis Thüringen im Finale mit 8:1 gegen den FT 93 Erfurt (siehe auch: Im Fußballhimmel? Blick in eine andere Fußballwelt, Rolf Frommhagen). Bei der Mitteldeutschen Meisterschaft (Kreis Mitteldeutschland, Freistaaat Sachsen, Freistaat Thüringen und Schlesien) gewann Steinach zunächst im Halbfinale gegen FT (Freie Turner) 94 Aschersleben 3:2 und dann im Finale gegen den TSV 20 Niederhaßlau mit 2:0. In der Mannschaft standen: Eichhorn, Zitzmann, Gropp, H. Sesselmann-Spitzer, Fischer, Linß-Beck, M. Sauer, Linß-Mopper, O. Seselmann-Spitzer, Arnold, Krauß-Stoffel. Mannschaftsleiter war Otto Matthäi Futtn. (siehe Bild, Archiv des SV 08 Steinach). Der Verein TV I 1887 Steinach bildete sich als Fusion aus dem Turn- und Bildungsverein Waldglöckchen und dem ATV Vorwärts 02 Steinach im Jahr 1920 (nach Rolf Frommhagen).


Die Fußballer von Germania Blechhammer waren ein ebenbürtiger Gegner und errangen ebenfalls mehrfach die Bezirksmeisterschaft.


Im 5. Kreis (Thüringen) waren im Bezirk 7 Vereine aus dem Landkreis Hildburghausen und Sonneberg organisiert. In den Geschäftsberichten des ATSB werden 1924/25 40 Vereine mit 1681 Mitgliedern genannt, 1926/27 47 Vereine mit 1875 Mitgliedern und 1930 45 Vereine mit 1961 Mitgliedern.


Auch hier gab es ein Presseorgan: Die Freie Sportwoche. Später ab 1932 Der Fußballstürmer. Vergleicht man die beiden Presseorgane (Mitteldeutsche Sportzeitung) erkennt man eine beinahe gleiche Aufmachung und Gliederung.

Berichtet die Mitteldeutsche Sportzeitung über uns aus dem „Thüringer Schmollwinkel", wegen der Ablehnung der Beibehaltung der Fußballkreise Anfang der 1920-er, so wird in der Freien Sportwoche von Zeit zu Zeit unter der Überschrift „Thüringer Klöße" vom Arbeitersport berichtet. Die Übersicht über die Vereine des ATSB habe ich aus den Geschäftsberichten für die Jahre 1924/25 und 1926/27 entnommen. Diese sind auf der sehr interessanten Internetseite www.arbeiterfussball.de einsehbar.


Aus den o. g. Veröffentlichungen konnte ich nur punktuell Erkenntnisse über Spielklasseneinteilung an der Fußballbasis sammeln. Auch hier standen die Kreismeisterschaften, also die höheren Klassen, im Vordergrund. Von den zuvor gespielten Runden in den Bezirken waren, wenn überhaupt, nur Entscheidungsspiele erwähnt. Aber auch dies war schon sehr aufschlussreich. Vermutlich wurde im Bezirk Steinach, zu dem auch Vereine aus dem Landkreis Hildburghausen gehörte in bis zu drei Gruppen/Staffeln gespielt. Die Gruppenmeister spielten in Entscheidungsspielen den Bezirksmeister aus, der dann an den Kreismeisterschaften teilnahm. Dort wurden zunächst wieder Gruppen mit drei bis vier Mannschaften gebildet. Die dann in Entscheidungsspielen den Kreismeister ermittelten. Dieser nahm an der mitteldeutschen Meisterschaft teil.


Im Archiv des SV 08 Steinach, welches sorgsam von Peter Schubert, dem Sohn des Mannschaftskapitäns der Steinacher Oberligaelf Karl Schubert, verwahrt wird, fand ich auch Informationen zum TV I 1887 Steinach.


Vom Sportfreund Rudi Matthäi akribisch zusammengetragen und mit Schreibmaschine geschrieben liegen u. a. folgende Auskünfte vor.


Im 7. Bezirk spielten die unteren Mannschaften ab 23. Mai 1927 ihre Punktspiele. Unter der Überschrift Verbandsspiele 7. Bezirk des 5. Kreises, 1. Klasse (Sonder) gibt es eine Tabelle der 1. Runde.

Gruppe Nord (Steinach): TV I Steinach, Germania Blechhammer, Jahn Neuhaus/Rwg., T. u. Sp. V. Steinheid, Germania Haselbach

Gruppe Süd (Hildburghausen): Hildburghausen, Sp. V. Schnett, V. für T. u. R. Sp. Eisfeld, VfL Unterneubrunn, Germania Gießübel, Sturm Brattendorf, Alemania Bedheim.


„Am Ende der Punktspielsaison standen sich Hildburghausen aus der Gruppe Süd und Steinach aus der Gruppe Nord um den Bezirksmeistertitel gegenüber."


Mein Buch über den Fußball im Schleusegrund muss wohl eine Ergänzung erfahren – ich habe es geahnt. Unstrittig bleibt jedoch dass, 1930 ein Verein für Leibesübungen Unterneubrunn – Schönau mit Sitz Unterneubrunn ins Vereinsregister Eisfeld zum 06. August 1930 eingetragen wurde. Eine Kopie aus dem Staatsarchiv Meiningen liegt vor. Das schon veröffentlichte Mannschaftsfoto von 1925 und der Fund einer Anstecknadel des ATSB im Umfeld des Vereines waren erste Hinweise auf eine Fußballgeschichte auch vor 1930. Und da gibt es ja außerdem die originale Vereinsfahne des Turn Verein Schoenau von 1883. Sorgsam verwahrt von unserem Sportfreund Ernst Witter und nach 1996 an den SV Schleusegrund Schönbrunn übergeben. Gerettet durch Unbekannte vor dem Faschismus, gerettet auch über die Nachkriegszeit und auch vor der sozialistischen Sportorganisation.


Mit der Machtübernahme durch die Faschisten 1933 endete im Zuge der Ermächtigungsgesetze die Geschichte des ATSB und seiner angeschlossenen Vereine, häufig äußerst gewaltsam. So wird aus Steinach berichtet, dass das Sportlerheim des TV I 1887 in der Nacht zum 01. Mai 1933 abbrannte. Die Sportler, die Löschversuche unternehmen wollten, wurden durch die Ortspolizei davon abgehalten. Später wird sogar berichtet, dass sich diese Sportler wegen Brandstiftung gerichtlich verantworten mussten. Ein kleiner „Reichstagsbrandprozess"?



  
Quelle: Archiv des SV 08 Steinach (Peter Schubert)



VfL Unterneubrunn um 1925 auf dem alten Sportplatz zwischen Talsperre und Forsthaus Langer Rasen (Quelle privat)